Warum Quilterinnen ihre eigenen Projekte nicht mehr finden
...................................und weshalb das nichts mit Unordnung zu tun hat.
Fast jede Quilterin kennt diesen Moment. Da liegt ein begonnenes Teil, sorgfältig weggepackt. Aus den verschiedensten Gründen nicht weitergenäht, weil eben auch manchmal das Leben dazwischenkommt. Mit einer Sehnenscheidenentzündung geht es nicht, wenn in der Familie jemand krank ist ebenfalls, die Kinder brauchen einen -- ja klar, wir helfen. Das Projekt ist ein Sommerprojekt, ein Winterprojekt, falsche Jahreszeit? Wir packen weg -- und so weiter, die Liste ist endlos. Es ist nicht immer, dass man fliegend von Projekt zu Projekt wechselt weil man gerade Lust und Laune hat. Und man zieht keine Augenbraue in die Höhe, wenn jemand sagt -- ach du meine Güte, das habe ich doch auch einmal angefangen zu nähen! - Wir wissen nicht, warum es nicht weiterging. Also, ans eigene Leben denken und die Situationen durchgehen, wo man selbst gefordert war und nicht nähen konnte.
Man nimmt also dieses eine Projekt in die Hand, betrachtet es einen Augenblick – und merkt, dass etwas fehlt. Nicht der Stoff, nicht die Zeit, sondern die Erinnerung. Was war das für eine Anleitung? Welche Größe war geplant? Und wo liegt eigentlich das Buch, der Ausdruck oder der Ordner, aus dem das Ganze entstanden ist? Was hätte das werden sollen? 300 geteilte Quadrate -- da hatte ich mir doch etwas dabei gedacht? Nur WAS?
Mit den Jahren sammeln sich Quiltbücher, Hefte und ausgedruckte Anleitungen an. Ordner werden angelegt, Register beschriftet, Mappen gefüllt. Trotzdem bleibt dieses Gefühl, dass man nichts mehr findet oder ganz einfach etwas im Gedächtnis hat, nicht genau weiß was, aber man weiß -- das ist irgendwo. Das liegt nicht an mangelnder Ordnung, sondern an der Art, wie wir suchen. Quiltprojekte werden nicht logisch gesucht. Sie werden visuell erinnert. Niemand denkt an Titel, Seitenzahlen oder Alphabet. Gesucht wird ein Bild, eine Stimmung, ein Fragment. Das Blaue mit den Dreiecken! Das Sommerprojekt! Das mit den Resten aus der Streifenkiste!
Genau deshalb helfen klassische Ordnungssysteme so wenig. Sie setzen voraus, dass man schon weiß, wonach man sucht. In der Praxis ist es meist umgekehrt. Wir haben nur eine ganz kleine Gedankenwolke zur Verfügung, wonach wir wirklich suchen. Mehr so eine Art vager Gedanke.
Was wirklich hilft, ist Wiedererkennung. Und die entsteht über Bilder, kurze Notizen und ein wenig Kontext.
Eine der zuverlässigsten Methoden ist erstaunlich unspektakulär. Ein Foto vom begonnenen Quilt, ein Foto der dazugehörigen Anleitung, dazu ein paar Zeilen, was bereits genäht ist oder noch fehlt. Mehr braucht es nicht. Ob digital abgelegt oder ausgedruckt und in ein kleines Heft geklebt, spielt dabei keine große Rolle. Entscheidend ist, dass beim Durchblättern sofort klar ist, worum es geht. Ein Blick genügt, und das Projekt ist wieder da. Nicht gesucht, sondern erkannt.
Gerade bei Projekten, die eine Weile gelegen sind, ist nicht einmal die Anleitung das größte Problem, sondern das Werkstück selbst. Man sieht es und weiß nicht mehr, an welchem Punkt man aufgehört hat. Hier hilft es enorm, wenn das Projekt sich selbst erklärt. Eine kleine Karte oder ein Zettel, der beim Quilt bleibt, mit ein paar knappen Informationen: Woher die Anleitung stammt, welche Größe geplant war, was bereits erledigt ist und wo die Anleitung zu finden ist. Diese paar Zeilen sparen später erstaunlich viel Denkenergie und machen den Wiedereinstieg leicht.
Viele arbeiten gern mit Papier, und das ist völlig in Ordnung, solange man sich nicht in Archivlogik verstrickt (zugegeben, einige beherrschen das, wir haben einige SteuerberaterInnen in unseren Reihen - ich habe die Hoffnung, dass sie das locker schaffen. Ich nicht.) Statt dicker Ordner mit Registern funktioniert oft ein schmales Projektbüchlein besser. Pro Projekt eine Doppelseite, links ein Foto, rechts handschriftliche Notizen und kleine Fortschrittsvermerke. Dieses Heft darf benutzt aussehen. Es ist kein Sammlerstück, sondern ein Werkzeug. Und wenn das Gedächtnis streikt, dann ab in das Heftchen. Auch da habe ich mehrere, aber es funktioniert - wenn ich die Konsequenz aufbringe, wirklich sofort einen Eintrag zu machen.
Auch bei Anleitungen selbst lohnt sich ein Perspektivwechsel. Alphabetische Ordnung klingt vernünftig, hilft aber selten weiter. Viel zugänglicher sind thematische Sammelstellen. Dinge, die man irgendwann einmal nähen möchte. Projekte für zwischendurch. Größere Vorhaben, die Zeit brauchen. Spielereien mit Resten. Anleitungen dürfen dabei ruhig mehrfach existieren. Eine Kopie dort abzulegen, wo man sie gedanklich sucht, ist keine Nachlässigkeit, sondern eine Erleichterung. Wer eine Pinterest-Pinwand hat, der weiß wie man sortiert wenn es überhand nimmt. So kann man auch im eigenen Nähbereich Ordnung schaffen.
Und dann gibt es noch all das, was noch kein Projekt ist, sondern eine Idee. Ein Muster, ein Detail, ein Quilt, der einen nicht mehr loslässt. Dafür braucht es keinen Ordner mit vollständigen Anleitungen, sondern einen Ort für Auslöser. Fotos, Ausschnitte, kurze Notizen. Ein persönliches Ideenarchiv, das nicht zum Nähen verpflichtet, sondern Lust bewahrt. Und es gibt die Dinge, in die man verliebt ist. Die man jetzt nicht nähen möchte, aber die echte Objekte der Begierde sind. Wenn man die ebenfalls an einem Ort unterbringt schafft man Raum und Zeit für eine schöne Stunde mit sich selbst. Denn dann muss man diese Wunderdinge nicht suchen, sondern eben einfach nur "bewundern", an einem Fleck, und nicht verstreut.
Am Ende hilft es, sich eines klarzumachen: Quiltprojekte sind keine Akten. Sie sind angefangene Gedanken. Sie dürfen gedanklich bei uns bleiben, sie dürfen begonnen werden, sie dürfen ruhen, sich verändern und wieder aufgenommen werden. Systeme, die das respektieren, funktionieren langfristig besser als jede perfekte Ordnung. Und senken die Frustschwelle gehörig.
Manchmal reicht ein einziges gutes Foto, um den Faden wieder aufzunehmen. Und dann ab damit zu Dropbox oder einer anderen Cloud, eine kleine Notiz dazu oder bei Pinterest einen "geheimen Ordner" aufmachen und die Dinge dort parken.
Ich liebe nach wie vor Ausdrucke. Ich habe dicke Mappen, es gibt tolle mit bereits eingeschweissten, dünnen Folien und da parke ich Muster. Und nichts leichter als das, mich da durchzuwühlen - jedes Muster eine Folie (und nicht jedes Blatt). Wenn Euch so etwas ungerkommt, meistens sind sie im Angebot und kosten 3 bis 5 Euro mit 100 Blatt, dann gleich zuschlagen! Es schont Eure Nerven ungemein.
Eure Roswitha



